Uncategorized

Schnittkonstruktion in der Lüneburger Heide

Einen Teil meines Urlaubes habe ich auf einem Schnittkonstruktionskurs in der Lüneburger Heide verbracht.

Wenn im Vorfeld meines Urlaubes die übliche Frage nach meinen Urlaubsplänen fiel, verlief der Dialog meistens so:

„Und, was machst Du in Deinem Urlaub?“

„Ich fahre in die Lüneburger Heide, auf einen Schnittkonstruktionskurs“

„?????“

„ja, Kleiderschnitte konstruieren, du weißt doch daß ich nähe…“

„ach, du fährst auf einen Nähkurs?“

„nein, einen Schnittkonstruktionskurs….“

„?????“

Die Tatsache, daß ich überhaupt meine Kleidung selbst nähe, stößt in meinem Umfeld meistens auf Unverständnis. Und dann auch noch die Schnitte selbst konstruieren- da bewegt man sich schon sehr außerhalb des mainstreams.

Aber ich finde Schnittkonstruktion total spannend. Es ist jetzt ja schon der zweite Kurs, den ich bei Peggy Morgenstern besuche. Letztes Jahr ging es um Rock- und Hosengrundschnitt, dieses Jahr um Oberkörpergrundschnitt für elastische Webstoffe.

Was ist denn eigentlich ein Grundschnitt? Vereinfacht gesagt, ist es ein Schnitt für ein uns genau passendes Kleidungsstück, das unseren Körper umhüllt wie ein Handschuh die Hand. Aber während ein Handschuh oft aus dehnbaren Materialien ist, geht es bei der Grundschnittkonstruktion doch überwiegend um Webstoffe, und damit beginnt das Dilemma. Denn die Anpassung erfordert Abnäher oder Einstellungen, um unseren dreidimensionalen Körper durch den zweidimensionalen  Stoff darzustellen. Der Grundschnitt ist also genau passend zu unseren Körpermassen, er enthält lediglich eine geringe Zugabe, damit wir den Schnitt überhaupt anziehen können (schließlich muß man ja auch während der Anprobe mal atmen…)

Der Grundschnitt ist noch kein Kleidungsschnitt, kann aber durch die Zugabe von Designelementen wie Kragen, Knopfleisten oder Erweiterungen eines Stoffteiles zu einem solchen werden. Letztendlich bestehen alle Schnitte, die wir irgendwo kaufen können, auf einem Grundschnitt. Egal wieviel Drapierungen oder Verknotungen in einem Blusenschnitt enthalten sind, er beruht auf einem Oberkörpergrundschnitt, da er auf den Schultern hängt.

In der deutschen Bloggerszene ist in letzter Zeit viel über Grundschnitte und deren Anwendung geschrieben worden. Da ich nicht alle  Blogs kenne und auch Google nur bedingt zur Recherche taugt, möchte ich hier beispielhaft  die Blogs vonImmi Meier, Mema und Frau Crafteln zitieren, die sich alle sehr viel Gedanken über dieses Thema gemacht haben.

Wie kommt man denn nun zu einem Grundschnitt? Da gibt es verschiedene Wege. Wer einen gut passenden eng anliegenden Blusenschnitt oder Kleiderschnitt hat, hat vermutlich schon einen. Alle anderen können versuchen, einen der käuflichen Schnitte für einen „sloper“ anzupassen, eine Schneiderin aufsuchen- oder einen Schnittkonstruktionskurs besuchen, in dessen Genuß ich bei Peggy kam.

Peggys Kurse laufen alle sehr strukturiert ab. Jeder Teilnehmer erhält eine Arbeitsmappe, in der die Arbeistsanweisungen abgeheftet werden. Für den Grundschnitt sowie für Ergänzungen (Kragen, Knopfleiste) gibt es sehr detaillierte Arbeistanweisungen. Zunächst wird der Schnitt im verkleinerten Maßstab 1:4 gemeinsam gezeichnet und von  Peggy erklärt. Dann wird der gleiche Schnitt, wieder im verkleinerten Maßstab und in einer Standardgröße, von jeder Teilnehmerin selbst gezeichnet.Am Anfang ist das so ein bißchen wie Malen nach Zahlen( „trage von P null die Achselhöhe nach unten ab…“). Aber spätestens , wenn das Geodreieck zu Einsatz kommt und Winkel abgetragen werden müssen, fiel zumindest mir es auf, daß mein Geometrieunterricht in der Schule schon 40 Jahre zurückliegt…

Und dann durfte jede ihren Grundschnitt , dann in der Originalgröße, selbst zeichnen. Vorher hatten wir uns gegenseitig vermessen, natürlich unter professioneller Anleitung. Manche Werte wurden direkt für den Schnitt verwendet, bei manchen spielte die Dehnbarkeit des gewünschten Materials eine Rolle oder die Bequemlichkeitszugabe für unser Kleidungsstück. Zum Glück kontrollierte unsere Lehrerin mit Engelsgeduld jeden unserer Rechenschritte und bewahrte uns so vor den größten Fehlern.

Dann wurde der Schnitt in einem Musterstoff zugeschnitten und genäht.

Jetzt würde ich ja gerne schreiben, daß damit die Arbeit erledigt war und wir nach einer kurzen Anprobe alle mit unserem Maßschnitt befriedigt nach Hause abgezogen sind-aber weit gefehlt, die Hauptarbeit begann jetzt erst noch. Die Muster wurden angezogen, und ja, mein Teil paßte halbwegs, aber durchaus nicht perfekt. Vieles mußte geändert werden, und hier merkte man dann auch den Vorteil, daß wir eine professionelle Leitung hatten. Ich hätte diese Änderungen nie alleine hinbekommen, mal ganz abgesehen davon, daß man gerade am Rücken natürlich kaum alleine selbst etwas abstecken kann.

Wir waren 4 Teilnehmerinnen, alle mit ganz verschiedenen Figuren, und so waren dann diese Anproben ein wunderbarer Querschnitt durch die ganze Vielfalt der Schnittanpassungen.

Nach so einem Kurstag schwirrte mir der Kopf von den vielen neuen Dingen, die ich gesehen und gelernt hatte. Es fiel schwer, wieder an etwas anderes zu denken. Beim Bummel durch die Straßen Lüneburgs achtete ich vorwiegend auf die Kleidung der Passanten, die ich sah- war hier die Schulterlinie nicht etwas zu steil geschnitten? Und hier, der Brustpunkt bei diesem Kleid, also dieser Brustpunkt saß doch eindeutig zu tief…

Zum Glück ist die Umgebung um Lüneburg so schön, daß ich bei ausgedehnten Spaziergängen mein Gehirn wieder etwas auslüften konnte.

Eingestreut in den Unterricht am Grundschnitt  waren immer wieder andere Bestandteile des Oberkörperschnittes, wie Kragen- oder Knopfleistenkonstruktion.  Und das wirklich schöne Thema der Abnäherverlegung- wie habe ich früher die Abnäher in Fertigschnitten bestaunt und fast wie ein Heiligtum behandelt. Dabei ist das Verlegen eines Abnähers total simpel und erfordert außer einer Schere kein anderes Handwerkszeug…

Unser Kurs war zwar kein Nähkurs, aber natürlich wurde auch genäht, nämlich unser Muster. Und auch da gab es von unserer Kursleiterin viele praktische Hinweise, insbesondere auch zum Bügeln. Das ist ja ein Thema, über das man ganz wenig liest. Vielleicht beherrschen auch alle anderen Hobbynäherinnne das richtige Bügeln z.B. von Abnähern- ich habe das alles erst in diesen Kursen gelernt.

Was kann man denn jetzt anfangen mit so einem Grundschnitt?

Theoretisch wäre es also möglich, alle meine Schnitte selbst zu konstruieren. Ich habe das durchaus mit meinem Hosen- und Rockschnitt so gemacht und war nur teilweise zufrieden. Die Paßform war immer super, aber es war schon sehr, sehr  viel Arbeit, einen kompletten Schnitt zu zeichnen, mit Ausstellungen, Taschen, Passen- was so mit dazu gehört, damit wir ein Teil auch tragbar und schick finden. Die Paßform alleine macht es ja nicht. Ich würde diesen Teil der Schnittkonstruktion eigentlich  lieber den Designerinnen überlassen, die daür eine Ausbildung und vor allem mehr Zeit und Erfahrung haben.

Aber der Grundschnitt ist natürlich auch hervorragend geeignet, einen Fertigschnitt auf unsere Maße anzupassen. Hier gibt es einen wunderbaren Artikel in der Thread, ein englischsprachiges Magazin übers Nähen ( ich finde die Thread überhaupt wunderbar, nachdem ich meinen ersten Schreck über eine Nähzeitung ohne Schnitte mal überwunden hatte). Vereinfacht geht es darum, den Fertig-Schnitt auf unseren Grundschnitt abzugleichen. Das macht man, in dem man die hintere oder vorder Mitte und die Schultern übereinander legt, die Seitennähte möglichst auch parallel kriegt und dann schaut, was an Differenzen bleibt, das ist dann das Design der Schnitterstellerin…

Was ich jetzt mit so dürren Worten im letzten Satz beschrieben habe, ist natürlich in der Realität ein höchst komplexer Vorgang, aber es macht unglaublich Spaß. Meine liebe NichteKatharina hat dieses Vorgehen in ihrem Blog ausführlich beschrieben.

Der Artikel in der thread geht übrigens noch einen Schritt weiter: hier wird beschrieben, wie man seinen Grundschnitt durch Falten, Auseinanderziehen oder Teile abknicken so ändert, daß er dem prospektiven Grundschnitt des zu nähenden Modells entspricht. Die erforderlichen Änderungen am Grundschnitt werden dann direkt auf das Modell übertragen.

Daraus folgt ein spannender Gedanke: es wäre toll, von  jeder Schnittmusterfirma den Grundschnitt zu kennen, mit dem diese ihre Schnitte konstruiert. Dann könnte jede Näherin direkt ihren Grundschnitt mit dem der Firma vergleichen und hätte einen Großteil ihrer Änderungen auf einen Schlag schon geschafft. Wunschgedanke, oder vielleicht eine Marktlücke für eine der Indie-Schnittmustererstellerinnen?

1 Kommentare

  1. Nordendstück sagt am 20. September 2017

    Ich hatte dich in Hessen abgespeichert und ja, du warst also dort in Urlaub. Ich habe im Moment auch ein extrem geniales Buch über Schnittab Wandlung pattern magic im Haus, lag in der Stadtbibliothek und es ist wirklich cool, wenn man versteht, wie ein Schnitt gemacht ist. Leider gab es in meinem Kurs damals keine Mappe und ich habe nur minimal die arbeitsSchritte notiert, weil es so schnell ging, das fehlt mir jetzt. LG Anja

Kommentare sind geschlossen.