Die Gummizughose ist ja mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man sieht sie überall, in den Geschäften, an den Frauen- natürlich auch an Männern, aber Männer mit Jogginghosen gab es immer schon, das ist normalerweise ein Grund, den Blick voller Grausen abzuwenden.
Aber die Frauen tragen jetzt wirklich schicke Jogginghosen, oft mit einem schönen Oberteil und schicken Schuhen kombiniert, und das sieht dann recht gut aus. Vielleicht ist das auch einfach eine Frage der Sehgewohnheiten, und wenn man etwas oft genug sieht, gefällt es einem- so wird ja wohl auch jeder Modetrend kreiert.
Beim Nähen der Pietra Pants von Closetcore im letzten Jahr hatte ich mich noch gefragt, ob Karl Lagerfeld mit seinem bekannten Zitat („wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“) eigentlich recht hat. Meine Pietrahose wird gerne getragen, und die Kontrolle über mein Leben habe ich seither nicht verloren. Es gab auch noch eine zweite Pietrapants, leider noch nicht verbloggt, folgt vielleicht noch irgendwann. Aber insgesamt war ich mit diesem Versuch einer Jogginghose sehr zufrieden.
Wobei ja die Pietra gar keine richtige Jogginghose ist, da das typische Bündchen am Knöchel fehlt. Und genau solche Schnitte erschienen jetzt auf dem Markt der individuellen Schnittdesignerinnen. Helens Closet brachte die Arden Pants heraus, und Hey June die Seaforth Panths. Wahrscheinlich gibt es auch noch viele ähnliche Schnitte, aber das waren die beiden, die ich für mich in die engere Wahl gezogen habe.
Entschieden habe ich mich für die Seaforth Hose, denn diese hat Taschen, die mit einem Reißverschluss versehen sind, das ist manchmal ja doch ganz gut, wenn so wichtige Dinge wie der Fahrradschlüssel drin sind. Außerdem hat der Schnitt rückwärtige Abnäher, wodurch er zumindest einen Hauch von Paßform bietet, soweit das eben bei einer Hose mit Gummizug möglich ist.
Viel mehr läßt sich über den Schnitt nicht sagen. Genäht habe ich Größe 6, nach meiner Hüftweite, und die Schrittkurve etwas steiler gestellt. Die Anleitung ist sehr gut, Nahtzugabe ist enthalten, also alles so, wie man es sich von einem stabilen Indie-Schnittmuster erwartet.
Der Stoff- ja, was soll ich über den Stoff sagen…ursprünglich wollte ich den Blogpost ja „eine Jogginghose aus Seide- nobel geht die Welt zugrunde“ nennen, aber das fand ich dann doch nicht mehr so passend. Aber es ist tatsächlich Seide, und zwar die sogenannte „raw silk noil“, ein Abfallprodukt bei der Seidenentstehung. Einzelheiten über die Produktion dieses Stoffes kann man bei den Hello Heidis nachlesen, wo ich meinen Stoff auch bezogen habe. Kurz gefaßt ist es so, daß bei der Seidengewinnung viele kurze Fasern anfallen, die für einen hochwertigen Seidenstoff nicht mehr geeignet sind. Daraus wird dann z.B. Bouretteseide produziert, oder eben die „raw silk noil“. Während die Bourettseide noch den Seidenleim enthält und deshalb recht typisch riecht, ist dieser Leim bei der Raw Silk Noil entfernt.
Ich hatte von dieser Stoffqualität noch nie etwas gehört und war ensprechend gespannt auf meine Lieferung aus der Schweiz, wo ich meinen Stoff bestellt hatte. Und der Stoff ist schon schön, hat eine etwas noppige Struktur und einen angenehmen Griff, so ähnlich wie Bouretteseide. Aber als ich den Stoff aus dem Päckchen nahm, war ich zunächst etwas enttäuscht. Die Farbe wird als Khaki bezeichnet, und das ist natürlich ein weiter Begriff zwischen grün und braun. In diesem Fall war es schon ziemlich braun, also eine richtige – Entschuldigung- Kackfarbe.
Deshalb lag der Stoff auch eine Weile im Stapel und wurde nicht zum geplanten Rock verarbeitet, für den er eigentlich gedacht war. Aber jetzt war er dran, und mittlerweile finde ich die Farbe auch gar nicht mehr so schlimm. Und farblich paßt er sich wirklich gut an die Farben des mecklenburgischen Strandes an!
Auch das Top, das ich dazu trage, ist sehr erwähnenswert. Es ist eines der ersten Oberteile, die ich genäht habe, und es hat duchaus eine historische Bedeutung. Genäht habe ich es 2016 und hier verblogt. Der Schnitt heißt Koko und ist von Named Patterns. Bei Named gibt es diesen Schnitt nicht mehr, er wurde aus dem Sortiment genommen. Eigentlich schade, denn es ist ein hübscher Schnitt: aus Jersey genäht, mit einem Einsatz aus Spitze vorne und hinten und witzigen kleinen Flügelärmelchen. Ärmelchen ist auch noch zuviel gesat, es sind eher kleine Schulterabdeckungen, die aber zumindest die empfindlichsten Stellen vor Sonnenbrand schützen können.
Wie antiquarisch der Schnitt ist, habe ich daran gemerkt, daß er auf Instagram nicht zu finden ist. Was leben wir doch in einer rasanten Zeit! Ich finde den Schnitt übrigens immer noch sehr hübsch, vielleicht nähe ich nochmal ein Koko Top, damit unter dem Hashtag #namedpatternskoko zumindest zwei Beispiele zu finden sind…
Auch der Stoff des Oberteiles ist historisch interessant, ein Jersey der finnischen Firma Nosh. Wie schade, daß diese Globalisierung schon vor Jahren aufgekündigt wurde…
Mittlerweile kann ich auch auf einige Wochen Trageerfahrung der Hose zurückblicken. Meine anfänglichen Bedenken wegen der Stofffarbe haben sich zum Glück nicht bestätigt. Die Farbe paßt sich insbesondere jetzt im Herbst sehr gut in meine Garderobe ein, und die Assoziation mit irgendwelchen Verdauungsprodukten haben sich nicht wiederholt. Der Schnitt ist wirklich schön, bequem und fahrradtauglich. Ob es wirklich so schick ist, eine Jogginghose aus Webstoff im täglichen Leben zu tragen, wird sich wahrscheinlich erst in einigen Jahren entscheiden. Ich vermute, man wird dann irgendwann sagen „in den 2020er Jahren war es kurzfristig modern, Gummizughosen auch auf der Straße und im Büro zu tragen- stellt Euch das mal vor!“ – so wie wir heute uns über die Moder der 70er oder 80er Jahre lustig machen- oder sie wieder schick finden. Es wiederholt sich ja einiges immer wieder.
Das Tragegefühl des edlen Stoffes ist eher gewöhnlich, ich merke hier keine Unterschiede zu anderen Stoffen wie Leinen oder Baumwolle. Der Fall des gekräuselten Bundes ist schön weich, aber das hätte ich mit einem vorgewaschenen Leinen wahrscheinlich auch erreicht. Ich hatte das Gefühl, daß ich an den jetzigen warmen Tagen eher wenig schwitze in der Hose, aber auch das wäre wahrscheinlich mit Leinen oder Viskose genauso zu erreichen.
Insgesamt bin ich also nach diesem Nähprojekt nicht unbedingt zu einem großen Anhänger der Raw Silk Noil geworden- ich finde, es gibt andere spannendere Stoffe.
Verlinkt: DufürDicham Donnerstag
Erstmal habe ich den Stoff gegoogelt, nie gehört, nie gesehen, dass Bouretteseide (hat meine Mutter mehrfach verarbeitet) riecht, ist mir nie aufgefallen, vielleicht wurde die früher auch irgendwie veredelt, um nicht zu riechen. Und gut, dass diese Seide waschmaschinenfest ist. Für den Strand und die Freizeit eine schöne Hose, mir ist gar nicht aufgefallen, dass außer den „Rapper Jungs an der Konsti“ alle in Jogginghosen rumlaufen, wobei ich dich keinesfalls mit denen vergleichen möchte. Ich sehe immer noch und überall skinny oder culotte…muss mal drauf achten. Und genießt die Ostsee solange es noch schön ist, LG Anja
Liebe Anja, mir war diese Seidenform auch völlig unbekannt, bevor sie bei der Schweizer Stoff-Firma angeboten wurde, aber anscheinend ist sie bein englischsprachigen Nähbloggerinnen durchaus bekannt und gefragt. – Jogginghosen, so auf modisch gestylt, sehe ich tatsächlich viel bei meine Patientenmüttern, und manchmal sieht es wirklich gut aus.
Die Ostseebilder sind leider schon vier Wochen alt, mich hat der hessische Alltag wieder fest im Griff!
Liebe Grüße, Barbara
Interessant, deine Ausführungen über die Stoffqualität; mir war diese Stoffart völlig unbekannt und ich finde es auch immer abenteuerlich, was unter die Farbe Khaki alles für Töne fallen, : ).
Dennoch hat deine Hose doch einen Ton, der mit alle möglichen Kombifarben gut zusammengeht.
Ja, Jogginghosen in allen Formen beherrschen das Straßenbild. Davon kann man halten, was man will. Deine ist jedenfalls absolut vorzeigbar und die Reißverschlußtaschen sind ein wirklich praktisches Detail.
Sehr hübsch ist auch dein Shirt und mir gefällt sehr, dass es sich durch die Details von den üblichen Shirtschnitten abhebt.
Named haben so einige ihrer Anfangsschnitte aus dem Sortiment gestrichen, was ich auch bedauere.
Herzliche Grüße von Susanne
Liebe Susanne, danke! Ja, die Hose ist wirklich gut zu kombinieren, das ist der Vorteil von dieser Farbe. Das Shirt mag ich auch sehr gerne, mir ist wirklich unverständlich, warum Named Patterns diesen Schnitt nicht mehr im Repertoire hat.
LG Barbara
Der Trend zur Jogginghose ist wirklich nicht zu übersehen. In letzter Zeit sind tatsächlich viele Schnitte für Hosen mit Gummizug erschienen. Ich frage mich gerade, ob das auch Covid-19 geschuldet ist, dass alle mehr zuhause sind und ein größerer Bedarf nach legere Kleidung besteht. Deine Jogginghose gefällt mir ausgesprochen gut, trotz oder gerade wegen der K*…farbe, weil sie so ein wahres Kombi-Wunder ist. Und die Seidenform kannte ich auch noch nicht. Spannend! Liebe Grüße Manuela
Liebe Manuela, nach meiner Erinnerung war dieser Jogginghosentrend schon vor Covid-19 da. Aber vielleicht wurde er noch verstärkt durch den Trend zum HomeOffice. Ich kann mich mittlerweile ganz gut damit anfreunden. Danke für Deinen Kommentar! das ist ja wirklich ein entspanntes Bloggen und Kommentieren, wenn die Masse des MMM wegfällt…vielleicht sollte ich jetzt immer so antizyklisch bloggen 🙂
Liebe Grüße! Barbara
Diese Art von „Jogginghose“ gefällt mir ausgesprochen gut, bei Dir jedenfalls sieht das top aus, genau die richtige Mischung zwischen lässig und schick. Daumen hoch ! Liebe Grüsse Robina