Die belgische Zeitschrift Fibre Mood habe ich schon einige Male gekauft, bisher aber nichts draus genäht. Mir gefielen immer einige Modelle in den Heften, das ergab dann ja auch die Kaufentscheidung, aber so den letzten Kick, daß ich dachte, so ein Kleidungsstück unbedingt und jezt haben zu müssen, so ging es mir bisher mit keinem Modell. Es gibt ja nun auch so viel anderes zu nähen, und die innere to-sew-Liste ist üppig gefüllt.
Das änderte sich mit der aktuellen FibreMood und demGusta-Kleid, das dort gezeigt wurde. Hier wußte ich, dieses Kleid brauche ich, und zwar sofort.
Gusta ist ein schlichtes Kleid. Im Vorderteil hat es französische Abnäher, in die praktischerweise Taschen eingearbeitet sind. Über der Brust verläuft eine Teilungslinie, die aber wohl nur dekorativen Zweck hat- dazu mehr später. Der Schnitt ist sehr figurumspielend um nicht zu sagen oversized, und der eher kurze Rock etwas eingestellt.Die Ärmel sind gerade geschnitten, mit einer schön hohen Armkugel und gehen bis knapp über den Ellbogen.
Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit dieses Schnittes mit dem Schnitt Raven aus der LaMaisonVictor. Auch hier ist die Gesamtsilhouette so etwas eiförmig, dabei aber durchaus proportioniert. Bei Raven hatte der Schnitt allerdings vertikale Teilungsnähte, in die die Taschen eingearbeitet werden. Diese schräge Version von Gusta finde ich um einiges eleganter.
Mich hat der Schnitt sehr anHeather von Sewoverit erinnert. Auch hier eine ähnliche Silhouette, wobe bei Heather die Teilungsnähte geschwungen verlaufen und dadurch das ganze Kleid etwas figurbetonter wird.
Zurück zu Gusta: Gusta mußte also ziemlich gleich genäht werden, sobald ich das Heft in den Händen hielt. Das ist ja nun das schöne an den Nähzeitschriften, daß man den Schnitt sich einfach abpausen und dann auch gleich loslegen kann. Bei manchen Zeitschriften ist dieses Abpausen aber so furchtbar, daß dadurch der Nähflow sicher und nachhaltig gebremst wird.
Den Schnittmusterbogen aus der Fibre Mood fand ich erfreulich übersichtlich. Nicht nur, daß ich auf Anhieb die richtigen Teile auf den richtigen Bögen gefunden habe , auch die Linien selbst fand ich zumindest in meiner Größe so gut zu differenzieren, daß mir das Abpausen wenig Mühe gemacht hat. Allerdings waren es auch nur wenig Schnittteile, und die waren auch von der Geometrie her nicht so schwierig.
Die Nähanleitung findet sich bei der Fibre Mood im Heft, allerdings nur in einer rudimentären Kurzfassung, die fast nur aus Zeichnungen besteht. Wer sich damit nicht zufrieden geben möchte, findet auf der Website von Fibre Mood die ausführliche Nähanleitung. Das ist alles kostenlos, man müßte dazu also weder Heft noch Schnitt gekauft haben, muß sich allerdings dafür anmelden- irgendwas ist immer.
Die Fibre Mood Seite ist auch sonst interessant und bemüht sich sehr, weitere Informationen zu geben. So gibt es auch einen Punkt Stilempfehlung zu jedem Schnitt. Hier geht es nicht darum, wie ich ursprünglich dachte, die richtigen Assessoires oder Schuhe zu einem genähten Teil zu empfehlen. Nein, es gibt ganz praktische Empfehlungen, welchem Figurtyp der Schnitt steht und welchem nicht. Die weiblichen Figuren werden hier durch Großbuchstaben katalogisiert- eine Einteilung, die ich immer schon mal am Rande registriert, aber nie für wichtig gehalten hatte. Ich empfand es immer als unangebrachte Vereinfachung, etwas so Persönliches und Individuelles wie die Figur einer Frau in Schubladen zu stecken, ob sie jetzt Buchstaben tragen oder nicht. Wie auch immer, ich las diese Stilempfehlungen, machte auch den angegebenen Test und fand mich als X-Typ wieder. Oder doch eher V-Typ? So ganz sicher war ich mir dann doch nicht, denn so eindeutig scheint die Typisierung nicht zu sein.
Für den X-Typ, las ich weiter, sei dieser Schnitt völlig ungeeignet. Und für den V-Typ sei er auch nicht günstig. Zum Glück hatte ich diese Erkenntnis erst gewonnen, als ich das Kleid schon zugeschnitten hatte, und ich habe das ganze erst mal ignoriert und frohgemut weiter genäht. Ich hatte übrigens die Größe 38 gewählt. Da ich mich mit dem Schnitt aus der ungewohnten Zeitschrift doch etwas im Neuland bewegte, habe ich einen Stoff gewählt, der mir zwar gefiel, aber in meinen Augen nicht so hochwertig war wie manche Schätze aus meinem Stoffvorrat.
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Meine neue Nähassistentin war sehr bemüht, mir beim Zuschnitt zu helfen. Man beachte, wie sie mit iher linken Pfote perfekt den Papierschnitt fixiert! |
Es ist ein Jaquard von Swafing, der als Besonderheit seinen eigenen Bündchenstoff in Form von Streifen am Stoffrand mitbringt- gute Idee, aber dann doch nicht gut genug, denn das Bündchen wird dann natürlich nicht in der besten Dehnrichtung des Stoffes zugeschnitten, sondern im rechten Winkel dazu. Aber es hat trotzdem funktioniert, ich mußte nur etwas mit der Bündchenlänge experimentieren.
Also , das Kleid wurde genäht, anprobiert- und war unmöglich an mir. Viel zu weit, sackförmig…ich erkannte, die Fibre Mood hatte recht, dieser Schnitt war nichts für mich. Aber sollte ich deshalb dieses Kleid gleich dem Altkleidersack überantworten? Das konnte doch nicht sein, immerhin hatte ich mir zumindest mit dem Bündchen so große Mühe gegeben. Ich zuppelte und drapierte das Kleid etwas an mir herum vor dem Spiegel, und siehe da, es fehlte eigentlich nur etwas Kontur im Taillenbereich. Kurz überlegte ich, ob ich die Seitennähte etwas enger nähen sollte, das ergab aber eine sehr eigenartige Form. Die rettende Idee waren Taillenabnäher im Rücken, das sah gleich viel besser aus, als ich die mal probeweise abgeheftet hatte.
Und so ergänzte ich dieses Kleid durch Rückenabnäher, mit einem relativ großen Abnäherinhalt, nämlich pro Abnäher 2x 1,5 cm, insgesamt habe ich also 6 cm in der Tailleinweite herausgenommen. Mir kam das eigentlich als ein recht gewaltsamer Eingriff in die Schnittkonstruktion vor, vor allem dieses nachträglich Einfügen der Abnäher, aber das Ergebnis fand ich für mich sehr überzeugend. Das Kleid saß deutlich besser, und plötzlich gefiel mir die Schnittführung mit den hübschen französischen Nähten im Vorderteil, die sonst völlig im „Zelt“ untergegangen waren.
Für mich ist das Kleid kein Lieblingskleid, sondern eher ein Alltagskleid, also eines, was ich nach seiner Fertigstellung ständig getragen habe. Deshalb hatte ich auch keine Hemmung, es zum Fahrradfahren anzuziehen. Ich mußte ja nicht drauf aufpassen, war ja nur ein Prototyp, und der Stoff nicht so sehr geliebt! Die Umwelt sah das anders, ich bekam ständig Komplimente dafür, die ich natürlich auch gerne entgegen genommen habe .
Nachdem der Gusta-Schnitt sich bei diesem Kleid so bewährt hatte, trotz mancher Holpereien, griff ich mir dann doch noch ein Schätzchen aus dem Stoffregal für Gusta No 2. Es handelt sich hier um einen French Terry der belgischen Firma Seeyouatsix, die sich durch hohe Stoffqualität und witzige Designs auszeichnen. Bei den Stoffdesigns bin ich mir oft nicht sicher, ob das Muster wirklich als ernsthaftes Damenmuster oder eher als Witz für Teenager gedacht ist…egal, diesen Stoff fand ich schön, sobald er im letzten Frühjahr auf den Markt kam und habe ihn lange und immer wieder mal im Regal gestreichelt. Ach, Stoffesammeln ist auch so ein schönes Hobby!
Er heißt übrigens Darkest SpruceGreen Flower Garden, ich weiß nicht, ob er noch in irgendeinem Onlineshop erhältlich ist. Ich hatte ihn direkt in Belgien bestellt, das ist unproblematisch.
Genäht habe ich diesmal Gr 36, da ich die erste Fassung doch etwas zu groß fand und der belgische French Terry auch noch dehnbarer als der Jaquard war. Die horizontale Teilungsnaht im Vorderteil habe ich weggelassen, die hätten nur meine hübschen rosa Blümchen zerstört. Obwohl ich auch einen passenden Bündchenstoff gehabt hätte, habe ich diesmal den Ausschnitt mit Belegen gearbeitet, wie es der Schnitt auch vorsieht. Und das gibt doch einen etwas eleganteren Touch, wie ich finde.
Beim zweitenmal Nähen ist mir dann aufgefallen, daß ich bei der ersten Version die Taschen verkehrt zugeschnitten hatte. Die Fibremood-Schnitt haben nämlich keine Nahtzugaben, die fügt man dann beim Zuschneiden dazu. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn der Taschenschnitt hatte bereits Nahtzugaben, das stand auch in der Anleitung so. Und ich hatte mich beim ersten Kleid schon etwas gewundert, warum die Taschen so schlecht einzupassen waren. Also auch gilt eindeutig: wer lesen kann, ist klar im Vorteil!
Obwohl mir die Gr. 36 besser passte als die 38, habe ich auch hier Rückenabnäher eingefügt für den besseren Sitz. Diesmal allerdings ordentlich in den Schnitt eingezeichnet, mit einem Abnäher-Inhalt von 1,4 cm pro Abnäher. So finde ich den Sitz für mich ideal.
Und nein, es gibt kaum Fotos, wo ich nicht die Hände in den Taschen habe. Diese Taschen sind so genial, da muß man einfach die Hände drin versenken!
Ich habe jetzt mit dem Gusta-Kleid einen neuen Lieblings-Schnitt gefunden und könnte mir gut auch noch weitere Versionen vorstellen. Der Schnitt kann übrigens auch aus Webware genäht werden , wie Madebyminoukimit ihrer Version sehr schön zeigt. Da hätte ich hier auch noch einige geeignete Stoffe liegen!
verlinkt:Memademittwoch